Frankfurt am Main – Das südostasiatische Vietnam ist eine aufstrebende Macht: geopolitisch, wirtschaftlich und kulturell. Die vietnamesische Küche hat es ja bekanntermaßen in Europa in den letzten Jahren zu enormer Popularität gebracht, und wer sich mit der Kunst des Landes befaßt, wird feststellen, daß es auch in diesem Bereich allerhand Interessantes gibt; insbesondere Hanoi und Saigon (offiziell Ho-Chi-Minh-Stadt) können mit einer gut organisierten Kunstszene aufwarten. Eine Künstlerin, die archaische und moderne Elemente in einer als naiv und spirituell zu bezeichnenden Kunst auf ansprechende Weise verbindet, ist Nguyen Thi Mai. Wir hatten einige Fragen, die sie uns gerne beantwortete.
ART DEPESCHE: Beginnen wir doch mit einer kurzen Zusammenfassung Ihrer künstlerischen Ausbildung…
Nguyen Thi Mai: Ich bin eine naive Künstlerin, was vor allem bedeutet, daß ich keine formale künstlerische Ausbildung hatte. Ich begann mit der Kunst im Jahr 2004, als ich für weniger als ein Jahr einem Kunstverein unter der Leitung von Herrn Tham Duc Tu im Hanoier Freundschafts-Kulturpalast beitrat. Später, im Jahr 2010, lernte ich von Herrn Nguyen Huy Hoang, einem Lackkünstler in Hanoi, kurz über die Technik der Lackmalerei.
ART DEPESCHE: Ihre Arbeiten machen oft einen sehr archaischen Eindruck, erinnern an Stammeskunst und Höhlenmalerei… woher bekommen Sie Ihre Inspiration?
Nguyen Thi Mai: Ich bin von verschiedenen Stämmen auf der ganzen Welt beeinflußt, nicht nur aus der Vorzeit, sondern selbst aus dem 21. Jahrhundert, es gibt immer noch Stämme in verschiedenen Teilen der Welt, nicht nur in Vietnam.
Mich inspiriert ihre reine und schlichte Lebensweise, welche sich gewaltig von unserer kosmopolitischen Lebensweise des 21. Jahrhunderts unterscheidet. Meine Kunst befaßt sich mit der Suche nach Gleichgewicht und Harmonie. Auch wenn ich keine Ludditin bin, glaube ich, es sollte ein Gleichgewicht in allem geben, was wir tun, selbst bei Fortschritt und Entwicklung.
ART DEPESCHE: Sie malen oft Tiere. Sicher haben diese eine besondere Bedeutung…
Nguyen Thi Mai: Ich finde Tiere sehr schön und hoffe, daß menschliche Wesen friedlich neben ihnen existieren können.
ART DEPESCHE: In meinen Augen besteht eine eindeutige Ähnlichkeit zur Kunst der westlichen klassischen Moderne. Würden Sie sagen, daß es in Ihrer Kunst auch etwas typisch Vietnamesisches gibt? Wenn ja, in welchem Sinne?
Nguyen Thi Mai: In technischer Hinsicht ist Lackmalerei eine traditionell vietnamesische Kunstform, also kann es nicht mit klassischer westlicher moderner Kunst verwechselt werden (obwohl ich dem im Ergebnis meinen eigenen, einzigartigen Stil gegeben habe).
Was die Komposition angeht, habe ich für einige meiner Bilder Themen aus der vietnamesischen Kultur gewählt. Etwa habe ich einige Lackgemälde geschaffen, welche die berühmte Hanoier Wassermarionettengruppe behandeln. Viele meiner Arbeiten befaßten sich auch mit den Stämmen oder religiösen Themen, was auf dem beruht, was ich auf meiner Reise ins vietnamesische Hochland sah. Allerdings würde ich mich eher als zeitgenössische Künstlerin, die eben Vietnamesin ist, denn als vietnamesische zeitgenössische Künstlerin betrachten.
ART DEPESCHE: Es gibt eine gesonderte Serie zu den vietnamesischen Sternzeichen… erzählen Sie uns bitte mehr darüber!
Nguyen Thi Mai: Der vietnamesische Tierkreis umspannt 12 Jahre, wobei jedes Jahr durch ein Tier repräsentiert wird: Maus, Büffel, Tiger, Katze, Drachen, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Schwein und Hund. Das ist dem chinesischen Kreis sehr ähnlich, abgesehen davon, daß bei den Chinesen anstelle der Katze das Kaninchen steht.
In dieser Reihe habe ich in den Bildern Tierköpfe mit Menschenkörpern verbunden. Dies ist eine Widerspiegelung meines Wunsches, daß Menschen und Tiere bzw. die Natur in Frieden und Harmonie nebeneinander bestehen können.
ART DEPESCHE: Sie haben auch eine Reihe von Bildern auf Seide gemalt – eine in westlichen Ländern unübliche Technik. Was ist das Interessanteste an dieser Art des Malens?
Nguyen Thi Mai: Der interessante Aspekt ist die Weichheit und Fragilität des Mediums. Kunst auf einem Stück feinen Materials wie Seide zu schaffen erfordert eine sanfte Berührung, die sehr anspruchsvoll sein kann. Doch das Ergebnis ist die schwere Arbeit wert, da ein Seidenbild ein Gefühl von Subtilität und Verfeinerung erzeugt, welches diesem Medium eigen ist.
ART DEPESCHE: Wer sind Ihre bevorzugten zeitgenössischen Künstler aus Vietnam? Wen sollten wir Ihrer Ansicht nach in Europa kennen?
Nguyen Thi Mai: Bùi Tiến Tuấn, Bùi Thanh Tâm, Nguyễn Xuân Hoàng.
ART DEPESCHE: Welche waren Ihre bedeutendsten Ausstellungen? Gab es bereits Ausstellungen außerhalb Vietnams?
Nguyen Thi Mai: All meine Einzelausstellungen fanden in Vietnam statt, in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt. Die beiden wichtigsten waren „Femme“, welche 2014 in L‘Espace Hanoi abgehalten wurde, und „Glückliche Welt“, die 2016 im Museum der Bildenden Künste in Ho-Chi-Minh-Stadt stattfand. Ich habe auch zweimal, 2015 und 2017, an der Beijing International Art Biennale teilgenommen.
ART DEPESCHE: Sind denn Kataloge oder Bücher mit Ihren Arbeiten erhältlich?
Nguyen Thi Mai: Ich habe 2011 in Hanoi selbst ein Buch veröffentlicht. Natürlich waren dort Arbeiten aus dem letzten Teil meiner künstlerischen Reise, vor allem der Großteil meiner Lackmalerei, nicht enthalten. Außerdem waren zwei meiner Gemälde, eins in Acryl und eine Lackmalerei, in der diesjährigen Februarausgabe des ArtAscent Art & Literature Journal, einer in den USA herausgegebenen Kunstzeitschrift, abgebildet.
ART DEPESCHE: Welches sind Ihre gegenwärtigen Projekte? Und wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Nguyen Thi Mai: Ich habe 2016 mit der Lackmalerei aufgehört und bin wieder zum Acryl zurückgegangen. Was ich nun versuche, ist das, was ich bei der Lackmalerei gelernt habe, in technischer Hinsicht mit der Nutzung von Acryl auf die Leinwand zu übertragen.
Ich habe vor, den Pfad, den ich immer gegangen bin, weiter zu gehen: die Suche nach Gleichgewicht und Harmonie durch meine Kunst. Was ich nun aber genau tun werde, hängt ganz allein von meinen Gefühlen ab…
ART DEPESCHE: Vielen Dank für das Gespräch!
(This article first appeared on art DEPESCHE 11/10/2017)